Naturwein ist in aller Munde – und das nicht nur im übertragenen Sinne. Was einst als Nischenphänomen galt, hat sich in den letzten Jahren zu einer beliebten Bewegung entwickelt, die Weinbars, Sommeliers und neugierige Genussmenschen gleichermassen begeistert. Doch was genau versteht man unter Naturwein? Und warum polarisiert er so stark?
Naturwein steht für einen minimalistischen Ansatz: möglichst wenig Eingriffe, vom Weinberg bis ins Glas. Im Rebberg wird biologisch oder biodynamisch gearbeitet, auf synthetische Spritzmittel verzichtet. Im Keller wird nicht geschönt, gefiltert oder korrigiert. Die Gärung erfolgt spontan, und Zusatzstoffe – wenn überhaupt – werden auf ein Minimum reduziert, oft nur in Form von geringem Schwefel.
Das Ziel? Ein Wein, der den Charakter von Traube, Terroir und Jahrgang unverfälscht widerspiegelt. Wichtig zu wissen: „Naturwein“ ist kein geschützter Begriff. Es gibt keine einheitliche Definition, was zu Diskussionen unter Puristen führt.
Naturweine bieten ein breites Spektrum an Aromen – von wild und funky bis überraschend frisch. Ob Orange Wine mit Tanninstruktur, spritzige Pet-Nats oder tiefgründige Rotweine mit animalischen Noten: Alles ist möglich. Doch nicht jeder Naturwein ist harmonisch. Unsaubere Arbeit im Keller kann zu Fehlaromen führen, von Mäuseln bis hin zu Essigstich.
Manche Weinliebhaberinnen und -liebhaber tun sich mit Naturwein schwer. Kritikpunkte wie „zu unklar“, „zu viel Gärung, zu wenig Struktur“ oder mangelnde Lagerfähigkeit sind häufig. Doch oft rühren diese Vorbehalte aus falschen Erwartungen. Wer einen klassischen, klaren Chardonnay sucht, wird bei einem trüben, spontanvergorenen Naturwein möglicherweise enttäuscht. Wer sich jedoch auf das Abenteuer einlässt, entdeckt neue Geschmackswelten.
Seit 2020 setzt sich der Verein Schweizer Naturwein für klare Standards und Transparenz ein. Er vernetzt Produzentinnen und Produzenten mit Konsumentinnen und Konsumenten und versteht Naturwein als ganzheitlichen Ansatz: ökologisch, handwerklich und ehrlich – vom Rebstock bis zur Flasche.
Auch in der Schweiz erlebt Naturwein einen Aufschwung. In Genf und der Waadt experimentieren junge Winzerinnen und Winzer mit unfiltrierten Cuvées. Im Wallis entstehen mineralische Naturweine aus alten Rebsorten wie Humagne oder Cornalin. Die Drei-Seen-Region begeistert mit Orange Wines aus Chasselas, und in der Deutschschweiz zeigt sich, dass auch Pinot Noir wild sein kann. Selbst im Tessin entstehen Naturweinperlen mit italienischem Temperament.
Die Szene ist klein, aber wachsend. Naturwein hat seinen Platz auf Weinkarten, in Fachgeschäften und bei Events erobert.
Wird Naturwein zum Mainstream? Wohl kaum. Doch als Gegentrend zum industrialisierten Wein wird er bleiben – und wachsen. Die Nachfrage steigt, besonders bei einem urbanen, umweltbewussten Publikum. Gleichzeitig wird die Szene professioneller, die Qualität stabiler.
Kurz gesagt: Naturwein ist gekommen, um zu bleiben – als authentisches, vielseitiges und ehrliches Spiegelbild unserer Zeit. Nicht immer einfach, aber immer spannend.
* Das Bild wurde mithilfe von Midjourney generiert.
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