Raphael Guggenbühl führt gemeinsam mit seinem Kindheitsfreund Carlos Navarro und seinem Bruder Alexander Guggenbühl das Zürcher Restaurant Rechberg 1837. Ein Ort, der kompromisslos auf Schweizer Produkte, Handwerk und Nachhaltigkeit setzt. Im Interview spricht er über seine persönliche Reise zum Wein und seine tiefe Verbundenheit mit Schweizer Winzerinnen und Winzern.
Raphael Guggenbühl, wie sind Sie zum Thema Wein gekommen?
Mein erster Kontakt war mit 15, als ich im Service eines Fünf-Sterne-Hotels gearbeitet habe. Damals ging es noch rein um den Genuss. Später habe ich in der Hotellerie gearbeitet – als Concierge, Vizedirektor, an der Rezeption. Wein war privat präsent, aber beruflich kein Thema. Das änderte sich erst, als wir das Rechberg 1837 eröffnet haben.
Was war da der Wendepunkt?
Ich war überfordert. Täglich kamen Weinhändler vorbei und behaupteten, ihr Wein sei der beste und nachhaltigste. Doch ich hatte keine Ahnung, ob das stimmt. Ich konnte nur auf ihre Worte vertrauen, und das war mir zu wenig. Also begann ich mich intensiv mit Weinbau, Geschichte und der Herstellung auseinanderzusetzen.
Sie haben sich also selbst weitergebildet?
Ja. Viel über Bücher und Dokumentationen, etwa zur Weinbaugeschichte in der Schweiz. Dann kam ein Schlüsselmoment: Der Zürcher Winzer Stephan Herter hat unser Restaurant besucht. Das Gespräch war so inspirierend, dass ich mich tiefer mit der Welt des Weins befasst habe. Ein anderes Beispiel war ein Schaumwein von Patrick Adank. Alle sagten, er sei „extra lachsfarben“. Aber Patrick selbst erklärte, dass er zu lange auf der Maische lag – ein Fehler, den er offen zugab. Diese Ehrlichkeit hat mich begeistert. Seither führen wir diesen Wein als unseren Hauptschaumwein.
Wie wählen Sie heute Ihre Weine aus?
Ausschliesslich durch persönlichen Kontakt. Wir besuchen jedes Weingut selbst. Wir schauen, wie in den Reben gearbeitet wird, ob Herbizide eingesetzt werden, wie gekeltert wird. Wir wollen wissen: Ist es ein Verkaufsgespräch oder ein echtes Bekenntnis zur Natur? Nur in Ausnahmefällen bestellen wir über Händler.
Warum ist Ihnen dieser persönliche Kontakt so wichtig?
Weil man nur im direkten Gespräch die Intentionen hinter einem Wein versteht. Es geht nicht nur um Biodynamik, sondern um den bewussten Umgang mit der Natur und echte Überzeugung. Wenn wir bei einer Winzerin oder einem Winzer die Leidenschaft für den Wein nicht spüren, ist es für uns ein No-Go.
Interessiert Ihre Gäste diese Tiefe überhaupt?
Für viele Gäste ist das ein schöner Bonus, für uns selbst aber ist es zentral. Wir versuchen in jedem Bereich des Restaurants Grenzen auszuloten, und upcyclen beispielsweise kaputte Teller und Gläser. Es ist unser Anspruch, dass alles im Restaurant eine Geschichte hat.
Und wie wird Ihre Schweizer Weinauswahl heute aufgenommen?
Mittlerweile sehr positiv. Früher, vor zehn Jahren, wollten viele nur französische, italienische oder spanische Weine. Inzwischen merken unsere Gäste, wie gut Schweizer Wein ist. Die Qualität ist oft besser als in den umliegenden Ländern. Viele Schweizer Winzerinnen und Winzer arbeiten mit enormer Sorgfalt und kleinem Ertrag. Unsere Weingüter haben meist nur zwei bis fünf Hektar, das findet man selten im Detailhandel.
Wie bringen Sie unbekannte Weine an die Gäste?
Indem wir sie gezielt anbieten – etwa mit unserer „Weinreise“, bei der pro Gang ein passender Schweizer Wein serviert wird. Zudem ermutigen wir Gäste, unseren Weinraum zu besuchen. Wer die Flaschen sieht, wird neugierig.
Kommen wir zum Merlot: Wie stehen Sie persönlich zu dieser Rebsorte?
Ich persönlich trinke eher selten Merlot, mein Herz schlägt für Pinot Noir. Aber ich schätze elegante Merlots, die mit Kraft und Tiefe überzeugen können. Was ich besonders spannend finde, sind die Unterschiede: Vom schweren, tanninreichen Merlot zum Steak bis zum feinen, fast filigranen Merlot zum Weichkäse ist alles möglich.
Und wie würden Sie Tessiner Merlot einordnen – im Vergleich zum internationalen?
Das Tessin bietet eine enorme Bandbreite. Einige Merlots dort sind kaum mit internationalen zu vergleichen. Ich denke, man sollte weniger nach Regionen und mehr nach Weingütern unterscheiden. Auch nördlich der Alpen werden Merlots immer interessanter. Die klimatischen Bedingungen sind in der Deutschschweiz inzwischen genauso gut für Merlot wie im Tessin.
Gibt es im Rechberg Gerichte, die Sie gezielt mit Merlot kombinieren?
Wir haben keine fixen Gerichte, sondern kochen mit dem, was aktuell auf den Feldern wächst und was die Bauern gerade anbieten. Wir arbeiten ausschliesslich mit biodynamischen Schweizer Rohstoffen – ohne Pfeffer, Kaffee oder Vanille. Grundsätzlich wählen wir den Wein zum Gericht und nicht umgekehrt. Wir wissen, welches Weingut eher elegante oder kraftvolle Merlots macht und treffen danach die Entscheidung.
Wenn Sie nur noch einen Schweizer Wein trinken dürften – welcher wäre es?
Ganz klar Pinot Noir, wegen seiner Eleganz und Vielschichtigkeit. Und beim Weisswein Completer: Die Rebsorte ist geschichtlich faszinierend, und ein gereifter Completer ist sensorisch ein echtes Erlebnis.
Wie sehen Sie die Zukunft des Schweizer Weins?
Qualitativ sind wir auf einem sehr hohen Niveau. Viele Winzerinnen und Winzer arbeiten noch wirklich von Hand, was anderswo oft nur behauptet wird. Ich glaube, Schweizer Wein wird international immer begehrter. Das könnte langfristig sogar ein Problem werden: Wir produzieren zu wenig. Und die Nachfrage wird weiter steigen.
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